Habt ihr schon einmal versucht, Schachtelhalme aus einem Beet herauszujäten? Gar nicht so einfach, denn „[d]er Acker-Schachtelhalm ist ein ausdauernder Geophyt. Seine reich verzweigten, behaarten Rhizome [Wurzelgeflechte] treiben bis 1,60 Meter tief in den Boden hinein„(Wikipedia). Man muss schon sehr, sehr tief graben, um einen Schachtelhalm zu entwurzeln. Darin ähnele ich diesem Pflänzchen.
Immer wieder gibt es um mich herum Menschen, deren Traum es zu sein scheint, weit weg von zuhause neue Welten zu entdecken. Sie wollen unbedingt ein paar Wochen in Australien, Indien, Mexiko, Neuseeland, Costa Rica, Brasilien, oder Panama verbringen, am besten aber doch einige Monate oder gar ein ganzes Jahr. Fragt man mich nach meinen Traumzielen, muss ich lange nachdenken und sage dann: „Cornwall oder Wales. Und Florenz im Frühling vielleicht. Und ich würde gern mal die Alpen im Sommer erleben. Stockholm ist auch sehr schön!“ Ich möchte sehr gern Neues sehen. Doch die Orte, die mich reizen, liegen nicht in weiter Ferne. Auf meiner Wunschliste stehen keine Superlative wie einmal auf einem Mayatempel zu stehen oder die Welt zu umsegeln. Ich träume davon, im Badeanzug auf einem von der Sonne erwärmten Felsen zu liegen und meine Füße in das Wasser eines smaländischen Sees zu tauchen. Oder auf einer blumenübersäten Klippe in Cornwall zu sitzen und aufs Meer zu schauen. Oder in der blühenden Lüneburger Heide ein Picknick zu machen.
Auf einer Party sagte mir letztens jemand: „Wenn ich keinen Job hätte, würde ich nicht auf einen warten. Da muss man ins Ausland gehen. Was soll man in Deutschland bleiben? Ich würde für ein paar Monate durch Amerika oder Australien reisen.“ Ich kam mir irgendwie klein und unerwachsen und feige und langweilig und hasenfüßig vor, denn ich selbst dachte in diesem Moment: Ich will in Hamburg bleiben. Ja, andere Städte und Länder sind bestimmt auch sehr schön, aber trotzdem. Leben will ich – im Moment – einfach hier. Hier ist meine Familie, viele meiner Freunde, hier leben meine Patentochter und mein Großvater.
Manchmal fühle ich mich deswegen unzureichend und engstirnig. Muss man nicht als junger Mensch (und da zähle ich mich jetzt ganz großspurig mit einem Alter von 25 Jahren dazu, auch wenn meine Schwestern jetzt vielleicht hämisch lachen) von der großen, weiten Welt träumen? Müsste ich nicht ganz begeistert sein von der Idee, nach Berlin, München oder New York zu ziehen?
Aber so bin ich halt nicht. Ich suche das Abenteuer nicht in der weiten Welt und auch nicht im Ausnahmezustand eines Urlaubs oder eines Auslandaufenthalts. Vielleicht finden mich einige deswegen spießig, oder langweilig. Ich selber sollte es ja aber eigentlich besser wissen. Meine Abenteuer sind ganz klein, und absolut im Alltäglichen verwurzelt. Mich kann es glücklich machen, einen vorher kaum gesichteten Singvogel in unserem Garten zu entdecken. Ich schreibe gern Postkarten „einfach so“, von Barmbek aus nach Winterhude und wünsche mir, dass sie den Empfängern ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Nehme auf dem Nachhauseweg eine Nebenstraße mit, die ich vorher noch nie durchschritten habe und bewundere die Fassade dieses einen Hauses, das so eine schöne Eingangstür hat. Kaufe Helva im türkischen Supermarkt und denke an Viola. Entdecke mit Merit neue Cafés und laufe mit Lisa durch „fremde“ Stadtteile.
Ich bin halt ein Schachtelhalm.
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Aber vielleicht bin ich auch einfach nur noch nicht so geübt im Träumen. Vielleicht bin ich auch ein Löwenzahn. Dessen Wurzel ragt bis zu einem Meter tief ins Erdreich und ist wirklich eine Pest, wenn man versucht, sie auszugraben. Fest verwurzelt blüht die Pflanze mit leuchtend gelben Blütenstand. Aber wenn sie geblüht hat, dann fliegen ihre kleinen Samenschirmchen vom Wind getragen in alle Welt hinaus – wie daunenleichte Träume, die im Sonnenlicht schimmern.
Ja.
Manche Menschen verbringen ihr Leben damit, nach dem Ort zu suchen, an dem sie glücklich sein können…Du hast diesen Ort bereits gefunden. Und es sind die Kleinigkeiten in dem Leben eines jeden, die es wundervoll und auf seine Weise einzigartig machen. :)
Ich kann Dich sehr gut verstehen. Auch ich habe mich schon oft gefragt, warum viele so lange aus dieser wundervollen Stadt verschwinden wollen. Und das auch noch freiwillig. Ich freue mich jedesmal, wenn ich nach !5! Tagen wieder von Süden her über die Autobahn an dem roten Stadtschild vorbeikomme. Kurz danach genieße ich dann den Anblick der Lichter links und rechts meines Weges (meistens komme ich ja im Dunkel an).
Ich glaube, wenn ich mal ein halbes Jahr weg sein sollte, und dann zurück nach Hamburg käme, würde ich bestimmt eine Träne spendieren.
„Die Stadt auf die ich kann.“
mit den Worten von Marcus Wiebusch:“Home is nun mal where your heart is“.
Hey Anna,
Eva hat mich gerade auf deinen Eintrag hier neugierig gemacht (obwohl sie gar nichts davon weiß) und ich musste ihn mir auch mal durchlesen… Ich habe vor einiger Zeit auch noch davon geträumt, wie schön es doch wäre, einfach mal ein Jahr ganz woanders zu verbringen. Weit weg von zu Hause, wo alles anders, neu und spannend ist. Jetzt lebe ich knapp seit einem halben Jahr in Hamburg, zwar nicht ganz so weit, aber weg von zu Hause, weg von Freunden und Familie. Eins steht fest: Hamburg ist und bleibt die schönste Stadt der Welt! Ich musste allerdings auch feststellen, dass es eben nicht meine Heimat ist und ich deswegen vielleicht viele Jahre bräuchte, um mich hier pudelwohl zu fühlen. Zu Hause ist es irgendwie doch am Schönsten…
Ist doch super, dass du dich an so vielen kleinen Dingen erfreuen und auch aus den kleinen Alltagsgeschichten ein Abenteuer machen kannst! Ich kenne noch andere, die es überhaupt nicht in „die weite Welt“ zieht- ist doch total normal! :)
Die Maya-Tempel haben leider nicht geklappt :) Tikal wäre neun Stunden und länger entfernt gewesen von Antigua. Antigua? Jaaa ich war spontan in Guatemala :D Unsere Activity-Coordinatorin hat günstige Last-Minute-Angebote gefunden im Internet und ein paar Freunde und ich haben gar nicht lange gezögert. Es war wunderschön. All die alten Häuser, Kirchen, Ruinen und die Frauen in ihren alten Trachten. Herrlich.
Aber ich kann dich gut verstehen. Man braucht nicht weit wegfahren. Und was heißt shcon weit? Schweden und Co sind ja auch andere Länder, oder etwa nicht? Und andere Länder gibts nicht nur am anderen Ende der Welt. Und jetzt, wo ich weg bin, wird mir erst klar wieviele Möglichkeiten und Kulturen und kuschelige Ecken wir in Hamburg haben.
Leben ist schön